Für differenzierte diplomatische und militärische EU-Missionen und Strukturen
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Die Rolle der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung gegenüber der europäischen Öffentlichkeit sowie den europäischen Partnern hervorzuheben
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Die diplomatische Arbeit der EU eindeutig von den Anstrengungen im Bereich Sicherheit und Verteidigung abzugrenzen;
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der außenpolitischen EU-Administration einen klaren Namen zu geben und nicht weiter hinter der umständlichen Bezeichnung „Europäischer Auswärtiger Dienst“ zu verstecken.
Ende 2020 blickt der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) auf sein zehnjähriges Bestehen zurück. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden im Laufe des Jahres zahlreiche Auswertungen und Analysen ausgearbeitet und dies insbesondere in Bezug auf seine Kapazität, die Interessen der Europäischen Union (EU) zu verteidigen und ihre Werte zu fördern. Darüber hinaus ist es die Gelegenheit sich über die grundlegende Natur seiner Struktur Gedanken zu machen, denn ihre Besonderheit besteht darin den diplomatischen Dienst der EU und zugleich den Bereich der europäischen Sicherheit und Verteidigung zu kombinieren.
Bei der Gründung des EADs begrüßten viele das Verschwinden eines als Redundanz wahrgenommenen Umstands, nämlich einerseits die Existenz eines Kommissars für Außenbeziehungen und andererseits die eines Hohen Vertreters für die Außenpolitik und Sicherheit. Die Beziehungen zwischen den beiden unterschiedlichen Komponenten des EADswaren jedoch nicht von Dauer, und daher erscheint es heute unerlässlich eine erste Bilanz dieser Entwicklung zu ziehen.
Ursprung des EADs
Obgleich die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft bereits eine gemeinsame Handelspolitik teilten und erfolgreich auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe zusammenarbeiteten, entschieden sich die damals zwölf Mitgliedsstaaten erst 1993 für eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik.
Im Anschluss an die gemeinsame Erklärung Frankreichs und Großbritanniens im Jahr 1998 in Saint-Malo wurde die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik 1999 auf der Sitzung des Europäischen Rats in Köln eingeführt. Zielsetzung war europäische Einsatzkapazitäten für klar begrenzte Militär- oder Polizeioperationen in Drittländern aufzubauen.
Die Mitgliedsstaaten beschlossen einen Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik zu ernennen. Zur Klarlegung der jeweiligen Positionen ernannte jeder Mitgliedsstaat einen mit dieser Aufgabe betrauten Botschafter und es wurde eine wöchentliche Sitzung mit den Amtskollegen in Brüssel festgelegt.
Die erste militärische Operation (Concordia FYROM)1 fand im Jahr 2003 in der Republik Mazedonien statt und umfasste im Wesentlichen die Bereitstellung von 300 Soldaten zur Sicherheit der OSCE2 und EU-Beobachter.
Seitdem wurden mehr als dreißig militärische Operationen und zivile Missionen abgewickelt. Um die Umsetzung der Mandate zu gewährleisten, hat der EU-Rat schrittweise einen entsprechenden Verwaltungsapparat zur Unterstützung des Hohen Vertreters aufgebaut. 2010, kurz vor der Gründung des EADs, waren etwa 9 000 Mitarbeiter (Militär, Polizei, Logistik, etc.) mit der Organisation und Betreuung militärischer und ziviler Einsätze betraut.
Zeitgleich hat die Europäische Kommission ein Netzwerk von EU-Delegationen mit Kernkompetenz Handel und Entwicklungshilfe aufgebaut und ständig erweitert. 2005 stieg die Zahl der Delegationen in der ganzen Welt auf 140. Die Delegationsleiter waren für sämtliche Aspekte der politischen Beziehungen zu Drittländern zuständig und bekamen den Höflichkeitstitel eines Botschafters. Die Gesamtverantwortung oblag einem für die Außenbeziehungen der EU zuständigen Kommissar. Insgesamt waren bei den Delegationen und der Generaldirektion letztlich 5.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Der EAD wurde 2011 nach Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon gegründet. Diese Struktur wird oft als diplomatisches Organ der EU bezeichnet. Der Begriff stammt von Catherine Ashton3, deren offizieller Titel Hohe Vertreterin für gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission war. Der EAD entstand aus der Zusammenlegung der Administration des EU-Rats, vor allem zuständig für militärische Operationen und zivile Einsätze, sowie der Verwaltung der Europäischen Kommission mit Kernfunktion Auswärtige Beziehungen. Damit die Mitgliedsstaaten diese neue Struktur mit dem nötigen Engagement unterstützten, setzten sich die Mitglieder aus 30 % ihrer Diplomaten zusammen.
Die Bezeichnung EAD «Europäischer Auswärtiger Dienst» ist wahrscheinlich alles andere als klar und einschlägig. Rein intuitiv ist es für die Medien und Politiker schwierig den europäischen Bürger zu erklären, was genau die EU unter dieser Bezeichnung im Bereich der Außenbeziehungen bewirkt. Im ursprünglichen Verfassungsvertrag (durch Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt) wurde dieser Name erfunden und dann im Vertrag von Lissabon übernommen. Möglicherweise wurde die Bezeichnung «Auswärtige Angelegenheiten» in Hinblick auf eventuelle Bepfindlichkeiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die diplomatischen Aktivitäten der EU bewusst gemieden. Anderereits sollten auch die Sicherheits- und Verteidigungsmissionen des EADs nicht in den Vordergrund gerückt werden, da es schlechthin um Hoheitsrechte geht.
Das Gesamtkonzept
Nichtsdestotrotz, obgleich sein Name keineswegs explizit ist, wurde der EAD als neue Struktur eingeführt, mit der Aussage einen umfassenden Ansatz zu bieten, im Klartext, eine Kombination der Sicherheitsinstrumente des EU-Rats mit den verschiedenen Instrumenten der Kommission (Handel, Wirtschaftssanktionen, Freihandelsabkommen, Entwicklungshilfe, humanitäre, militärische und polizeiliche Hilfe etc.).
Die Ausarbeitung der Mandate, das Budget, sowie die Überwachung der militärischen Operationen und zivilen Missionen bleiben insgesamt wichtige Aufgabengebiete in der Arbeit des EU-Rates (Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee - PSC). Wenn also, historisch gesehen, die EU-Mitgliedsstaaten immer gezögert haben, über eine europäische Verteidigung zu sprechen mit Rücksicht auf den absoluten Hoheitsanspruch der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich, so werden diese Missionen und Operationen in der Praxis meist unter einem gemeinsamen Souveränitätsprozess mit der EU geteilt und ausgeführt.
Die Ministerien für Verteidigung und Inneres der Mitgliedsstaaten sind de facto im ständigen und engen Kontakt mit ihren Botschaftern, die sie im PSC vertreten.
In Anbetracht der sehr unterschiedlichen Natur der sicherheitspolitischen und diplomatischen Mandate und der Tatsache, dass alle Mitgliedsstaaten (wie alle Länder auf der Welt) einerseits ein Außenministerium und andererseits ein Ministerium für Verteidigung und Inneres haben, wäre es mehr als logisch die militärischen und polizeilichen Aktivitäten ausschließlich über einen Verwaltungsapparat für Sicherheit und Verteidigung abzuwickeln, getrennt und abgegrenzt von der diplomatischen Arbeit. Die Wahl war jedoch eine andere, denn, obwohl die EU Aktivitäten im Bereich der Verteidigung und Sicherheit übernimmt, ist es ihr nicht erlaubt eine spezifisch diesen Mandaten gewidmete Institution aufzubauen. Der EAD diente somit gewissermaßen als diplomatische Finte, um die europäische Zusammenarbeit in Sache Verteidigung zu ermöglichen und voranzutreiben. Parallel dazu gründeten die Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) 2014 die Europäische Verteidigungsagentur, deren Zielsetzung die Entwicklung von militärischen Ressourcen ist. Sie steht unter dem Vorsitz der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, beschäftigt aber nur die bescheidene Anzahl von 150 Mitarbeitern. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Praxis darin, die Interoperabilität von Ausrüstungen der Armeen aller Mitgliedsstaaten zu fördern.
Der aktuelle internationale Kontext drängt die EU nun dazu, die Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung und Sicherheit immer stärker voranzutreiben, so wie etwa durch die Gründung einer gemeinsamen Kommandozentrale «Militärische Planungs- und Führungsfähigkeit» (entspricht der Zivilen Planungs- und Führungsfähigkeit für zivile Missionen), die Ausweitung der Tätigkeitsfelder für militärische Operationen und die Bündelung der finanziellen Ressourcen für Forschung und Entwicklung neuer Ausrüstungen. Konkret bedeutet dies, dass die Verteidigungskomponente des EADs immer mehr an Bedeutung gewinnen wird (z.B. an Personal und finanziellen Ressourcen).
Dennoch darf man nicht aus den Augen verlieren, dass die Bereiche Verteidigung und Sicherheit nur zwei der zahlreichen durch den globalen Ansatz ermöglichten Dimensionen darstellen.
Der richtige Zeitpunkt, um klar zu differenzieren
Da der EAD erst im Jahr 2011 geschaffen wurde, könnte es als verfrüht angesehen werden eine Debatte über die Neuordnung der EU-Administration im Bereich der auswärtigen Beziehungen zu eröffnen. Dies liefe jedoch darauf hinaus, dem Kriterium Langlebigkeit mehr Gewicht zu verleihen als der Entwicklung der Mandate und ihrer Effizienz, sowie auch der Lesbarkeit der Konzepte, die eine mögliche Revision verlangen. Diese Aspekte müssten dringenst überdacht werden.
Seit 2017 wurden mehrere Initiativen ergriffen, den Verteidigungssektor auf europäischer Ebene zu stärken, dies teils durch Schaffung eines europäischen Verteidigungsfonds anhand eines nicht unbedeutenden Budgets, sowie durch ständige strukturierte Zusammenarbeit mit der Zielsetzung, die Interoperabilität der Streitkräfte der Mitgliedsstaaten zu verbessern4. Diese Initiativen werfen erneut die Frage der Institutionalität auf, da heute drei Organe oder Strukturen im Bereich der europäischen Verteidigung beteiligt sind, nämlich
- die Europäische Kommission, die den europäischen Verteidigungsfonds nach den gemeinschaftlichen Regeln verwaltet,
- die Europäische Verteidigungsagentur, die die permanente strukturierte Zusammenarbeit in Abstimmung mit dem EAD überwacht,
- der EAD selbst, der seine Führungsrolle auf EU-Ebene für zivile Missionen und Militäroperationen weiterhin wahrnimmt.
Diese Entwicklungen liefern weitere Argumente, um ernsthaft über die Einrichtung einer klar definierten Struktur zu reflektieren, die die Gesamtheit aller europäischen militärischen Aktivitäten (Ausarbeitung einer Strategie, Management der Operationen, Verwaltung des europäischen Verteidigungfonds und Stärkung der Interoperabilität) gezielt in eine Hand nimmt. Dies würde eine Refokussierung des EADs auf seine diplomatischen Aufgaben implizieren.
Ein günstiges Umfeld
Seit dem 1. Dezember 2019 hat die EU eine neue Direktion. In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am 16. Juli 20195 hat Ursula von der Leyen, neue Präsidentin der Europäischen Kommission, eine Konferenz angekündigt, die ab 2020 zwei Jahre lang über die Zukunft Europas debattieren soll6. Dies bietet eine einzigartige Gelegenheit, eine grundlegende Debatte über die beste Form der Neuorganisierung der europäischen Diplomatie und Verteidigung zu führen. Eurobarometer-Umfragen7 weisen beständig daraufhin, dass die meisten Mitgliedsstaaten und -Bürger sich für eine stärkere Einbindung der EU in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit aussprechen. Die aktuelle Situation scheint einen günstigen Rahmen zu bieten, über die Möglichkeiten einer Umorganisierung der Verwaltung der EU-Außenbeziehungen zu reflektieren und die Option der Gründung zweier Einheiten, eine Verwaltung für Sicherheit und Verteidigung einerseits, und eine Verwaltung für auswärtige Angelegenheiten andererseits, zu überprüfen.
Hierbei wäre es die Rolle der EU-Institution für Sicherheit und Verteidigung alle Instrumente und Mittel für die Verteidigung und Sicherheit Europas zu entwickeln und bereitzustellen, sowie laufende Operationen und Missionen unter dem Kommando eines Koordinationsleiters dieser neuen Einheit auszuführen. Ein Treffen mit den Verteidigungsministern der Mitgliedsstaaten würde auf monatlicher Basis stattfinden.
Parallel dazu würde die EU einen Chef für auswärtige Angelegenheiten ernennen, der mit den verschiedenen Direktionen der Kommission, die für Fragen im Zusammenhang mit den Außenbeziehungen wie Handel, Justiz und Inneres, Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Klimawandel und Erweiterung zuständig sind, in direkter Koordination und Kooperation arbeitet.
Author:
Ehemaliger Botschafter der EU, Guy Ledoux hat verschiedene Posten in der Europäischen Kommission und der EAD - Zentrale in Brüssel besetzt. Als Divisionsleiter „Einsatzunterstützung“ Zivile Planungs- und Führungskapazität konnte er aus nächster Nähe die Funktionsweise der Komponente Sicherheit und Verteidigung des EADs beobachtet.
2"Action commune 2003/92/PESC du Conseil du 27 janvier 2003 relative à l'opération militaire de l'Union européenne dans l'ancienne République yougoslave de Macédoine", Journal officiel de l’Union européenne, 11 février 2003.
3"Catherine Ashton High Representative / Vice President Joint Debate on Foreign and Security Policy European Parliament Strasbourg", ec.europa.eu, 10 mars 2010.
4Voir Federico Santopinto, "Pesco: The Belgian Perspective", Ares, numéro 33, novembre 2018.
5"Opening Statement in the European Parliament Plenary Session by Ursula von der Leyen, Candidate for President of the European Commission", ec.europa.eu, 16 juillet 2019.
6La Conférence sur l’Avenir de l’Europe est un processus de réflexion devant durer deux ans. Il doit servir à dessiner le contour des prochaines étapes de la construction européenne et proposer de nouvelles avenues pour la mise en œuvre des mandats actuels. Voir European Parliament, Conference of Presidents – Minutes of the ordinary meeting of Wednesday 16 October 2019.
7Eurobarometer opinion pools can be consulted on line.